Venedig am Altrhein
In
der Region seit nunmehr sechs Jahrzehnten bekannt als „Roxheimer Gondelfest“
ist diese traditionelle Veranstaltung kein Fest wie jedes andere.
Von
dem breit angelegten Rahmenprogramm geht eine besondere Atmosphäre aus, die
immer wieder eine Rückbesinnung auf den Ursprung des Festes anstrebt.
Wie
kam es eigentlich zu seiner Entstehung?
Im
Jahr 1951 feierte man auf Initiative der VdK Ortsgruppe Roxheim erstmals – und
seitdem jährlich – am 1. Sonntag im Juli ein Fest der „Versöhnung“ und des
„Brückenschlagens“ zu anderen. Die Organisatoren erhielten als Gastgeschenk
einer ähnlichen Vereinigung aus Venedig eine Originalgondel, ein Prachtstück,
das bis 1962 immer ein vielumschwärmtes Symbol der Freundschaft war.
Ein
weiteres Symbol und besonderes Anziehungsstück des Festes war von jeher der
Nachbau der Rialtobrücke auf der, dem Festplatz gegenüberliegenden Uferseite
des Altrheins. Beleuchtete Wasserfontänen und tausende schwimmender Kerzen; am
Abend die bengalische Beleuchtung der Altrheinufer (Sommernachtstraum und See
in Flammen) – damals ein ungemein romantisches Stimmungsbild!
Die Rialtobrücke wird darüber hinaus begriffen als das Sinnbild des Brückenschlagens zu anderen:
Des
Brückenschlagens zwischen Einheimischen und auswärtigen Gästen, zwischen
Alteingesessenen und Neubürgern; zwischen Jung und Alt, zwischen Deutschen und
unseren ausländischen Mitbürgern.
Gleichzeitig waren von jeher für alle Gondelfestbesucher Gondel und Rialtobrücke ein Stück Venedigs. Und dies mit Recht, reichen doch beide bis an die Ursprünge dieser einzigartigen Stadt:
Weil
weder Hunnen noch Langobarden Seeleute waren, entstand einstmals Venedig. Diese
beiden wilden Stämme überfielen im 5. Jahrhundert, in den Zeiten der
Völkerwanderung, immer wieder die Veneter, die an der Küste der nördlichen
Adria wohnten. Die Veneter merkten bald: Auf den Inseln der Lagune, die sich
vor ihrer Küste erstrecken, waren sie sicher!
Die
Angreifer hatten keine Schiffe. So zog ein Teil der Bevölkerung um und
besiedelte eine Reihe dieser Inseln. Im Jahre 697 wählten sie einen gemeinsamen
Duce, einen Herzog, den sie in ihrer Mundart „Doge“ nannten. Sie krönten ihn,
der fortan oberster Richter, Heerführer und Ratsvorsitzender war, mit einer
Fischermütze.
Immer
neuen Angriffen ausgesetzt, zogen sich die Veneter auf die Inselgruppe zurück,
die die größte Sicherheit versprach. Die Hauptinsel davon nannte man „Rivus
altus“ – das hohe Ufer.
Ein
Kloster räumte dem Dogen in seinem Gemüsegarten einen Bauplatz ein. Dort
entstand der Dogenpalast. Im Laufe der Zeit wurde der Gemüsegarten zum
Markusplatz – und die Inselgruppe nannte sich „Venezia“.
Der
ursprüngliche Name „Rivus altus“ wandelte sich zu „Rivo alto“, für den Bereich
im Herzen Venedigs mit seinen reichen Geschäfts- und Handelshäusern. Die
Brücke, die diesen Bezirk über den Kanale Grande verbindet, heißt heute zu
einem Wort verkürzt „Rialto“.
Gondel
und verbindende Brücke: Sinnbilder einer bezaubernden Stadt, die einstmals eine
der größten See- und Handelsmächte war. Keine große Kriegsmacht mit wehrhaften
Türmen und Mauern; sondern ein modernes Staatswesen mit einem fein gesponnenen
Netz diplomatischer Beziehungen und kaufmännischer Interessen.
Aber
nun wieder zurück zum Roxheimer Gondelfest, unserem eigentlichen Ausgangspunkt.
In seinen sechzig Jahren gab es zwangsläufig Rückschläge. Im Laufe einer
solchen Zeitspanne kann dies nicht ausbleiben. Doch man hat immer wieder neue
Ideen geboren und den Mut zu neuen Wegen bewiesen.
Nach
achtundzwanzig gondellosen Jahren – das Gastgeschenk von 1951 war nach elf
Jahren intensiven Einsatzes auf dem Altrhein dem Zahn der Zeit zum Opfer
gefallen – hatte der Bobenheim-Roxheimer Verkehrsverein unter dem Motto „Ein
Herz für die Gondel“ auf einem Spendenkonto mehr als 20.000,-- DM angesammelt,
um ein neues Festsymbol zu erwerben. Man war bei der Bevölkerung durchaus auf
offene Ohren gestoßen – und dies darf man getrost ganz wörtlich nehmen.
War
es deshalb ein Zufall, der den Bobenheim-Roxheimern zu Hilfe geeilt war, als
ein einheimischer Bäckermeister bei seiner nächtlichen Arbeit von einer großen
Versteigerung von Requisiten der gerade zu Ende gegangenen Bregenzer Festspiele
aus dem Radio erfuhr? Er informierte die Gemeindeverwaltung, die kurzerhand mit
einer kompetenten Delegation zum Bodensee fuhr, in die Versteigerung einstieg
und preisgünstig sogar zwei „original venezianische Gondeln“ erwarb.
Diese
„Filetstückchen“ wurden liebevoll von der Familie Vettermann, die über viele
Jahre den Bootsbetrieb während des Festes auf dem Altrhein betrieb, restauriert
und in Originalzustand versetzte. Den Familiennachwuchs entsandte man eigens in
ein Gondeltrainingslager und mit einer haargenau nachgeschneiderten Kleidung
der berühmten Gondoliere werden seitdem wieder Fahrten auf dem Altrhein für
alle Besucher durchgeführt.
Der
nächste Schritt war die Wiederbelebung des Wasserumzuges, der seit Mitte der
sechziger Jahre nicht mehr durchgeführt worden war. Auch hier ist Initiator der
Verkehrsverein gewesen, der tatkräftig vom Ortskartell, (Dachverband aller Bobenheim-Roxheimer
Vereine) unterstützt wurde.
In
enger Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung gelang es, die
organisatorischen Hürden zu überwinden. Nach Hunderten von Arbeitsstunden, die
Mitglieder von Vereinen und örtlichen Gruppe, aber auch von Firmen geleistet
wurden, war es soweit.
1995
fiel der Startschuss für die farbenfroh geschmückten und mit phantastischen
Aufbauten versehenen Boote und Pontons, die von den beiden Gondeln angeführt
wurden. Mehr als 3000 Menschen hatten sich eingefunden und verfolgten
begeistert den Umzug auf dem Wasser, der sich über fünfzehn Jahre am
Sonntagnachmittag des Gondelfestes zu einem Besuchermagnet entwickelte.
„Neuestes
Kind“ des rührigen Teams aus Ortskartell, Verkehrsverein und Gemeindeverwaltung
ist das Fischerstechen, das ab 1954 vom Wassersportverein über einige Jahre
nach altem Vorbild auf dem Altrhein initiiert wurden war. Schon im Mittelalter
waren diese Wettkämpfe auf dem Wasser die Turniere des „kleinen Mannes“,
während in der benachbarten freien Reichsstadt Worms bei glänzenden Reichstagen
Adlige hoch zu Ross ihren Geschicklichkeit und ihren Mut zur Schau stellten. Auch
diese Reaktivierung einer alten Gondelfesttradition ist sichtbarer Ausdruck der
Rückbesinnung auf den Ursprung des außergewöhnlichen Heimatfestes.
Damit
auch der äußere Rahmen gegeben ist, haben Gemeinde und ein Arbeitskreis der
Kirchengemeinde St. Maria Magdalena die „Rialtobrücke“ vollständig erneuert und
sie dem Original noch ähnlicher gemacht.
Neben den zahlreichen Schaustellern, mit ihren vielfältigen Attraktionen, gibt sich die Gastronomie als Festwirte auf dem Gondelfestplatz ein Stelldichein, um mit einem breigefächerten „Magenfahrplan“ die zahlreichen Festbesucher zu verwöhnen. So arbeiten alle Verantwortlichen der Altrheingemeinde Hand in Hand, um diesem Fest auch nach sechs Jahrzehnten seinen besonderen Glanz zu verleihen, das traditionell am Montagabend mit einem beeindruckenden Brillantfeuerwerk seinen Abschluss erfährt.